Cappuccino #1 – Siavas und sein zweites Leben

Er reiste in den Iran, um seine Zähne zu verschönern. Doch dann musste er um sein Leben kämpfen. Strahlender kann ein Lächeln wohl nicht mehr sein, als das von Siavas und seinem zweiten Leben.

Schon bei der Bestellung meines Cappuccino fielen mir die funkelnden grünen Augen und die weißen Zähne auf. Seine lebensbejahende Aura reichte bis in die hinterste Ecke des Cafés. Die harmonische Energie an diesem Ort, galt definitiv seinem Wesen.

Das Leben
ist kein Plan.

Trotz der perfekten Atmosphäre an diesem Coworking Space, konnte ich mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Immer wieder zog mich meine Aufmerksamkeit zu ihm. 

Vielleicht kennst du das: manchmal ist man genervt von, wenn auch kleinen, Ablenkungen, die einen aus seiner Tagesordnung reißen. Und manchmal ist das unerwartete To Do (bzw. in meinem Fall „To See“) genau der Fokus, den dein Geist gerade braucht. Der Sog des Universums: das Leben ist kein Plan. Mein kosmischer Auftrag für heute war also, den Barista zu beobachten.

Er begrüßte jeden mit einem herzlichen Lächeln und in einer Art, die einem das Gefühl „der freut sich wirklich mich hier zu haben“ gab. Er arbeitete alleine: Kunden bedienen, Kaffee zubereiten, Geschirr aufräumen und so weiter. Alles verrichtete er mit einer besonderen, wohlwollenden Aufmerksamkeit.

 

Das sein Bein verletzt war, viel schnell auf – er hinkte und brauchte bei manchen Dingen etwas länger. Doch er ließ sich von der Zeit nicht hetzen, sondern tat alles in einer bewundernswerten Leichtigkeit. Seine Ruhe war sein Antrieb. Und sein Lächeln.

 

Als er wieder an mir vorbeiging, folgte ich meinem Impuls und sprach ihn an: „Du hast es nicht leicht, mit deiner Verletzung den ganzen Tag im Stehen zu arbeiten. Wie geht es dir damit?“ Seine Reaktion war so, als hätte ich einen anatomischen Reflex ausgelöst: das ganze Gesicht leuchtete von dem Feuer in seiner Antwort auf: „Im Gegenteil, mir geht es richtig gut damit! Ich bin sehr glücklich hier zu sein – denn ich bin am Leben!“

"Ich bin sehr glücklich hier zu sein - denn ich bin am Leben!"

Baam. Meine Haare stellten sich auf. Siavas, dessen Name „Krieger“ bedeutet, ist halb Afghane, halb Tadschike und lebt seit seiner Kindheit in Deutschland. Er ist Make Up-Artist und legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres sowie schöne Zähne. Und die waren der Auslöser für ein Ereignis, das seinen Blick auf das Leben für immer verändert hat.
Nur schöne Zähne
Er reiste mit einer Freundin in den Iran, um seine Zähne machen zu lassen – Veneers für ein strahlendes Lächeln. Eine Behandlung, die dort wesentlich weniger kostet, als in Deutschland. Sie wohnten bei ihren Verwandten, die auch den Kontakt zum Zahnarzt hergestellt hatten. Alles lief super. Er war begeistert von seinen neuen, weißen Zähnen. Doch dann nahm der Aufenthalt eine dramatische Wendung und aus 14 Tagen wurden 18 Wochen. Aus Urlaub wurde Überleben.
Bei einem Ausflug wurde ihr Auto von einem LKW erfasst. Sie warteten vor einer Bahnschranke, als die Bremsen des Trucks ausfielen. Mit voller Geschwindigkeit fuhr er auf sie zu. Die Fahrerin war nicht angeschnallt und schaffte es, das Fahrzeug schnell zu verlassen. Für Siavas war es zu spät – sich abzuschnallen und auszusteigen hätte seinen Tod bedeutet. Denn der LKW raste genau auf seine Seite zu. Instinktiv entschied er sitzen zu bleiben und hoffte, dass das Auto nur „geschoben“ werden würde und die Karosserie in schütze. Der Lastwagen überrollte ihn.   Der Seitenspiegel schlitzte seinen Kopf von der Stirn bis in den Hinterkopf auf. Seine Beine wurden zertrümmert. Wochenlang lag er im Koma und kämpfte um sein Leben. Er war der einzige Verletzte. In einem fremden Land, fernab von all ihm vertrauten.
Der Kampf um`s Überleben

Mir standen die Tränen in den Augen. Mit vollem Verständnis für das ihm  Zugestoßene, fuhr er fort:

 

„Als ich aus dem Koma aufwachte, wollte ich als erstes sehen, ob meine Zähne noch da waren.“ Wir lachten. Doch dann sagte er nachdenklich: „Weißt du, wie ich die Schmerzen in meinem Körper spürte, war ich überglücklich. Da wusste ich, dass ich überleben werde. Und ich wusste, ich werde heilen.“

 

Seine Freundin, ihre Familie und Freunde lenkten ihn vom Geschehenen, seinen Schmerzen und Ängsten ab. Sie erschufen ein Umfeld, in dem Gedanken wie „warum ich“, „was wäre, wenn“ und „hätte ich nur“, ihm nicht ansatzweise in den Sinn kamen. Als er sich wieder etwas bewegen konnte, fuhren sie mit ihm an schöne Orte, hatten Spaß und teilten ihre Freude am Leben. Statt Wut, Frust und Trauer, praktizierten sie eine Heilkunst, die von nun an sein Lebenselixier sein würde. Nämlich lachend und nach vorne schauend, sich auf das Leben einzulassen.

 

Er sagte, wäre er nicht dort gewesen, wäre der Unfall nicht passiert. Doch wäre es wo anders passiert, wäre er nicht genesen. „Mir geht es besser denn je!“ Ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – so bewegt zu sehen, berührte mich sehr.

Die zweite Chance
Ein Freund verschaffte ihm den Job in diesem Café. „Es tut mir gut zu arbeiten. Es ist entspannt hier. Ich stehe viel, gehe und wenn es ruhig ist, setze ich mich auch mal. Meine Beine werden immer kräftiger.“ erzählt er stolz. Die Krücken stehen in einer Ecke. Er benutzt sie erst wieder nach der 8-Stunden-Schicht. Ein wahrer Kämpfer – sein Name ist kein Zufall.   Ein Mensch voller Optimismus, Dankbarkeit und Demut. Mit einer Lebendigkeit, die ein Geschenk für seine Mitmenschen ist und einen ansteckt, beflügelt.    Pläne mache er nicht mehr. Sondern liebt und lebt jeden Tag und nimmt die Dinge einfach so, wie sie kommen. Spontan, umgeben von dem, was sich gut, leicht und heilend anfühlt. Sorgen macht er sich keine mehr, sondern nur noch Mut.   Ich fragte ihn, welche Worte er Anderen gerne mit auf ihren Weg geben möchte:

"Positiv bleiben. Einfach positiv bleiben."

In meinem Geldbeutel hebe ich die Sprüche von den Yogi Tea-Teebeuteln auf. Intuitiv wollte ich ihm eines davon geben, als Zeichen meiner Wertschätzung, meines Mitgefühls und meiner Freude ihm zu begegnen. Ich schenkte ihm die Worte „Gehe nur Wege Deines Herzens“. Und er mir sein schönstes Lächeln.